Organtransplantation – was die Widerspruchslösung bringt

In der Schweiz herrscht seit Jahren ein grosser Mangel an Spenderorganen. Jedes Jahr sterben hierzulande zwischen 60 und 80 Menschen, weil sie nicht rechtzeitig eine Organtransplantation bekommen. Warum ist das so und was kann gegen dieses Problem getan werden?

Aktuell müssen sich die Menschen in der Schweiz zu Lebzeiten explizit für eine Organspende ausgesprochen haben, damit bei einem Hirntod die Organe für eine Transplantation entnommen werden dürfen.

 

Hat die hirntote Person das nicht gemacht (was gemäss Schätzung von Franz F. Immer, CEO von Swisstransplant, etwa 75 Prozent sind), müssen die nächsten Angehörigen darüber bestimmen. Eine schwierige Entscheidung, die in einer sowieso schon schwierigen Situation getroffen werden muss.

 

Neben der enormen Belastung für die Angehörigen, führt dieses Vorgehen dazu, dass in der Schweiz die Organspenderrate auf einem konstant tiefen Niveau ist. Denn trauernde Angehörigen tendieren eher zur Ablehnung, um Fehlentscheide zu vermeiden.

1400 Personen warten in der Schweiz auf ein Spenderorgan

In den letzten fünf Jahren gab es durchschnittlich 135 postmortale Organspender pro Jahr auf konstant um die 1400 Patienten auf der Warteliste für ein Spenderorgan.

 

Im Vergleich mit den Nachbarstaaten hinkt die Schweiz deutlich hinterher: Letztes Jahr wurden gemäss dem «International Registry in Organ Donation and Transplantation» in der Schweiz 18,6 Spender pro Million Einwohner gezählt. Frankreich hatte ganze 28,9 postmortale Organspender, Italien 24,7, Österreich 24,6 und Deutschland 11,6. Spanien führt die europäische Statistik mit 48,3 Spendern pro Million Einwohner an.

 

Die europäischen Länder, die mehr Organspender haben als die Schweiz, praktizieren die sogenannte Widerspruchslösung. Dabei kommen grundsätzlich alle Einwohner als Spender infrage. Hat die verstorbene Person einer Organspende zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen (z. B. in einem offiziellen Register), dürfen die Organe zur Transplantation entnommen werden. Es gibt Länder, in denen die Angehörigen ein Widerspruchsrecht haben.

Umfragen widersprechen den Fakten

Swisstransplant, die nationale Stiftung für Organspende und Transplantation, ist überzeugt davon, dass die vergleichsweise tiefe Spenderquote auf die hohe Ablehnungsrate der Angehörigen zurückzuführen ist. Die Ablehnung der Angehörigen steht allerdings im Widerspruch zu einer Umfrage, die gemäss Tagesanzeiger Anfang 2017 gemacht wurde und aufzeigte, dass 92 Prozent der Bevölkerung positiv gegenüber der Organspende eingestellt sind. Vier von fünf Personen gaben gar an, dass sie bereit wären, ihre Organe zu spenden. Eine Erklärung für diesen Widerspruch könnte sein, dass die Angehörigen im Moment der Trauer mit der Entscheidung, die Organe des Toten oder Sterbenden zu spenden, überfordert sind. Sie entscheiden sich gegen eine Organspende, um keine falsche Entscheidung zu fällen. Für diese Erklärung sprechen auch die Resultate einer Studie[1], die ergab, dass die Zustimmungsrate der Angehörigen für eine Organspende höher ist, wenn der potenzielle Organspender oder die potenzielle Organspenderin noch nicht offiziell als hirntot deklariert ist. Zu diesem Zeitpunkt müssen sie noch nicht mit der vollendeten Tatsache klarkommen, dass eine ihnen nahestehende Person tot ist.

 

Eine andere Erklärung ist, dass die verantwortlichen Ärzte psychologisch unvorteilhaft kommunizieren, und so die Chance auf eine Organspende vergeben. Diese These kann unterstützt werden durch ein generelles Misstrauen gegenüber einem für Laien undurchschaubares Gesundheitssystem und dem Zeitdruck, dem die behandelnden Ärzte ausgesetzt sind.

 

Eine Volksinitiative soll es richten

Beide Problemsituationen könnten umgangen werden, wenn die Menschen in der Schweiz sich explizit gegen statt für eine Organspende aussprechen müssten.

 

Eine von der JCI (Junior Chamber International) der Riviera lancierte Initiative «Organspende fördern – Leben retten» sieht eine Verfassungsänderung vor, welche auf dem Grundsatz der vermuteten Zustimmung beruht.

Grundsätzlich wird bei dieser Initiative davon ausgegangen, dass die verstorbene Person einer Organtransplantation zustimmt, sofern sie sich nicht explizit dagegen ausgesprochen hat. Sie kann dies mit einer Patientenverfügung oder im nationalen Spenderregister tun. Ist der Wille des potenziellen Organspenders unbekannt, werden die Angehörigen konsultiert. Haben diese Kenntnis davon, dass der oder die Verstorbene zu Lebzeiten eine Organspende abgelehnt hat, dürfen die Organe nicht entnommen werden. Ist dies nicht der Fall, werden die Organe für eine mögliche Transplantation freigegeben.

 

Ein Vorteil der Widerspruchs-Initiative ist unter anderem, dass die Angehörigen im Moment der grössten Trauer und Schmerz davor geschützt werden, eine so wichtige Entscheidung selber treffen zu müssen. Darüber hinaus profitieren natürlich die Personen, welche sich auf der Warteliste für ein Spenderorgan befinden. Gemäss JCI Riviera könnten damit jährlich rund 100 Menschenleben zusätzlich mit einem Spenderorgan gerettet werden.


[1] Weiss J, Coslovsky M, Keel I, Immer FF, Jüni P, the Comité National du Don d’Organes (CNDO) (2014) Organ Donation in Switzerland - An Analysis of Factors Associated with Consent Rate. PLoS ONE 9(9): e106845. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0106845